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Was bedeutet Führen und Folgen in der digitalen Arbeitswelt?

„Mats, gib dem Mädchen ihren Eimer zurück! Den darfst du nicht einfach nehmen! Du musst erst fragen!“

Ich weiß zwar nicht, was Mats in dem Moment gedacht hat, aber er sah recht unzufrieden aus. 

Kennt ihr solche Szenen auf den Spielplätzen dieser Welt? Mats und die Eimerbesitzerin hatten keine Möglichkeit ihre Anliegen selbst miteinander zu klären. Zu schnell greifen Eltern oder Erzieher ein und nehmen die Führung an sich. Wir wollen helfen zu schlichten und für Ordnung sorgen. Wir meinen es natürlich gut, aber ist das auch gut? Was passiert mit Mats eigentlich, wenn er groß ist?


Der innere Konflikt zwischen Führen und Folgen


Alle Welt spricht viel und ausgiebig über Führung, aber kaum einer spricht über’s Folgen. Systemisch gesehen erbringt es allerdings keinen Mehrwert, Führung isoliert zu betrachten. Führen funktioniert nur mit Menschen, die folgen.

Die oben beschriebene Alltagssituation ist aus meiner Sicht einer der Gründe, warum Führen und Folgen im Berufsleben nicht immer miteinander funktionieren. Mats wird später den inneren Drang verspüren sein Anliegen selbst zu lösen, selbst zu entscheiden und zu gestalten. Wenn es hart auf hart kommt, wird er gleichzeitig allerdings wollen, das jemand anderes das Problem löst, weil er es so erlernt hat. Im Business-Alltag führt diese Dynamik zu unbefriedigenden Situationen. Wir wollen uns selbst führen und selbstbestimmt agieren aber auch ein bißchen von unseren Führenden gerettet und beschützt werden. Führende werden diesen ständig wechselnden Ansprüchen und Erwartungen nur selten gerecht.


Führung ist ein Prozess, keine Person


Es herrscht noch immer die Ideologie, Führung sei eine positionsgebundene Selbstverständlichkeit. Wird jemand also als Leader installiert, hat dieser Mensch zu führen und die anderen haben zu folgen. Führung ist allerdings ein Prozess und keine Person, wie der US-amerikanische Wissenschaftler Edwin P. Hollander als Pionier einer dynamischen Sicht auf Führung klarstellte. Natürlich wird Führung stark durch die Person beeinflusst, allerdings reicht die Person allein nicht als Grund, um zu folgen. Sehr interessant aber leider noch wenig erforscht ist in diesem Zusammenhang die Idiosynkrasie-Kredit-Theorie der Führung. Diese Theorie erkennt die wechselseitige und auf wachsendem Vertrauen basierte Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Führenden. Sie besagt, dass Führende durch entsprechend positiv bewertete Führungsleistung und Loyalität einen Vertrauensvorschuss (Kredit) vom Team erhalten. Erst dadurch entwickelt sich die eigentliche Führungsposition. Dieser Kredit hilft vor allem dann, wenn Führende mal von der Norm abweichen und beispielsweise einen vom Team nicht willkommenen Change treiben müssen. Das Team vertraut und folgt auch in der Ausnahmesituation. Dafür muss natürlich die Gesamtsumme der Kreditpunkte im positiven Bereich sein.

Führung muss sich also erstmal bewähren.


Der Begriff "Führungskraft" ist nicht mehr zeitgemäß


Wenn ich von Führung spreche, meine ich somit nicht Führung im traditionell klassischen Sinne. Ich meine nicht die Leitfigur, die die Weisheit mit Löffeln gefressen hat, Anweisungen Top-down weitergibt, durch das Machtgefüge die Oberhand hat und mit Lob und Bestrafung führt. Ich spreche aus gutem Grund von Führenden und nicht von Führungskräften. Aus meiner Sicht ist der Begriff "Führungskraft" nicht mehr zeitgemäß. Was soll uns das Wort sagen? Dass es viel Kraft kostet zu führen? Oder dass Mitarbeitende nur folgen, wenn man sie mit Kraft dazu bringt? Oder ist die Führungskraft die einzige Person, die etwas mit Kraft treibt? Was sagt uns das dann über die Mitarbeitenden? Sind das dann die Antriebslosen? Ich spreche von Führung im modernen Sinne. Es geht um den Vertrauenspartner auf Augenhöhe, der Orientierung gibt und eine Vision teilt, der Freiraum gibt und die besten Vorraussetzungen schafft, damit Mitarbeitende arbeiten, sich entfalten und entwickeln können.

Mitarbeitende folgen demnach nicht aus Angst, oder weil es das System so von ihnen verlangt. Wenn ich von Folgenden spreche, meine ich das also nicht im Sinne von Folge leisten. Es geht darum, dass Mitarbeitende zu Followern werden. Sie folgen, weil Sie von der Vision überzeugt und intrinsisch motiviert sind.


Für´s Führen und Folgen brauchen wir einen Paradigmenwechsel 


Was diesem Prozess häufig im Wege steht ist das System, in dem Führende und Teams arbeiten. Wenn Führung nicht gut läuft und Folgende nicht vertrauen, werden in Organisationen meist zwei Dinge unternommen:

Zuerst wird aufgeschrieben, wie Führung sein soll. Sowas nennen wir dann Leitlinien oder Führungsprinzipien. Wir denken uns Bilder dazu aus und versorgen das gesamte Unternehmen damit. 

Danach wird an den Hirnen und Herzen der betroffenen Menschen herumgedoktert. Es gibt Seminare, Workshops und Coachings. Wehe dem, der sein Verhalten dann nicht den neuen Regeln anpasst, der nicht sein Mindset ändert.

Genau das passiert allerdings. Die neuen Regeln existieren nicht in unserer realen Erlebenswelt. Es gibt neue Leitbilder, aber alte Muster. Wir Menschen sind ziemlich klug und zusätzlich noch aufs Überleben getrimmt. Es gibt gute Gründe, warum sich Führende in Unternehmen so verhalten, wie sie sich verhalten. Sie haben es erlernt, sind durch das Unternehmen und die vorherrschende Kultur so sozialisiert worden und haben so „überlebt“. So lange die Gründe für das Verhalten fortbestehen, wird sich nichts ändern. 

Wollen wir wirklich etwas verändern, müssen wir zuerst am System arbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass Führende die Möglichkeit erhalten das Vertrauen ihrer Mitarbeitenden zu gewinnen, um in eine tatsächliche Führung hineinzuwachsen, statt nur eine Stelle zu besetzen. Wir müssen den Folgenden Möglichkeiten zur Verfügung stellen, Vertrauen aufzubauen, in ihre Selbstführung, aber auch in ihre Führenden. 

Führen ist ein Prozess der nicht ohne Folgende funktioniert. Das schöne ist, dass wir alle mal folgen und mal führen, denn Führung heißt ja vor allem erstmal die ehrliche und aktive Auseinandersetzung mit sich selbst. Vielleicht sollten wir also einfach anfangen uns den Führungsprozess zu teilen und voneinander zu lernen. Shared Leadership ermöglicht es, zwischen Führen und Folgen zu wechseln, wenn es sinnvoll ist. Vielleicht ist damit später auch Mats mal geholfen.








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