Dieser Artikel erschien zuerst bei t3n, am 22. August 2019
Der Puls rast, Hitze steigt auf, das Herz klopft gefühlt im Kopf. Die Rede ist nicht von einer actionreichen Achterbahnfahrt oder einem Stephen-King-Klassiker. Die gleichen Symptome lösen Konflikte bei uns aus, nur dass sie weitaus weniger Spaß machen.
Eine Rolle dabei spielt sicherlich der Faktor Freiwilligkeit. Für den Konflikt habe ich mir kein Ticket gekauft, bekomme kein Popcorn und Selfies will davon auch keiner sehen. Wir geraten in Konflikte wie in Unfälle. Wir suchen sie uns nicht aus. Gut ist es, wenn’s wenigstens schnell geht. Wer kennt das nicht, in der Teamsitzung, im Workshop oder am Familientisch, es tritt eine Störung auf, irgendwas passt nicht, es kommt zum Konflikt, der direkt ausgefochten wird. Danach kehrt Ruhe ein. Die Ruhe nach dem Sturm ist wichtig für uns, um jetzt mal Luft zu holen, war ja auch anstrengend.
Was ist aber, wenn diese Ruhe nicht eintritt? Wenn der Konflikt nicht ausgefochten, sondern ausgehalten wird?
Konflikte werden heiß und kalt serviert
Wird aus dem Konflikt eine längere Angelegenheit, liegt das meist an einem verpassten Moment. Dem Moment, an dem man besser den Mund aufgemacht hätte. Mit Glück bleibt der Konflikt allerdings heiß. Das bedeutet, er ist für alle offensichtlich und kein Tabu-Thema. Die Betroffen gehen alles andere als subtil vor, sind allerdings mit starken Emotionen und wenig Selbstreflexion bei der Sache. Noch schwieriger wird es, wenn der Konflikt erkaltet. Kalte Konflikte sind nicht sichtbar für andere. Betroffene sabotieren, blocken, verzögern und verschleppen.
Die Prozesse im Hintergrund sind bei uns allen gleich. Wir empfinden puren Stress. Adrenalin wird ausgeschüttet und unser Hirn signalisiert uns: Es ist Zeit zur Flucht! Dumm nur, dass wir den Menschen im Berufsleben nicht einfach entfliehen können. Die einzig mögliche Flucht ist in diesem Fall die Klärung des Konflikts. Sprechen wir Konflikte nicht an, ist oft der ständige Gang zum Arzt die Folge.
Der Point of no Return
Ich selbst hatte auch schon mal den Konflikt mit dem Konflikt. Viele verpasste Momente und ein eiskalt geschüttelt und nicht gerührter Konflikt waren die Folge. Irgendwann verließ ich das Unternehmen, weil es für mich so nicht weiterging. Danach entfiel plötzlich auch die Notwendigkeit für meine Nackenschmerzen bedingte Physiotherapie.
Für mich war danach klar, so weit wird es nicht wieder kommen. Heute gehe ich Konflikte sofort und aktiv an. Leicht ist das oft trotzdem nicht, aber es lohnt sich! Was ich in Unternehmen erlebe, sieht noch ganz anders aus. Der eine Moment ist oft verflogen und eine Klärung scheint unmöglich oder mindestens so gruselig wie der Stephen King.
Der späteste verpasste Moment, der Point of no Return, besagt, dass die Fronten verhärtet und die Meinungen in Stein gemeißelt sind. Wie viel Zeit vergeht, bis es zu einem klärenden Gespräch kommt, ist also entscheidend für den weiteren Verlauf.
Seminare sind nicht falsch, hilfreich aber auch nicht
Ob und wie wir mit Konflikten umgehen, ist stark geprägt von unserer Erziehung, unseren Werten, Glaubenssätzen und Mustern, aber auch der Kultur des Unternehmens, in dem wir tätig sind. Wird der „Frieden gewahrt“, ist es einfach nicht üblich, einen Konflikt zu thematisieren. Der Gedanke daran, die Konfrontation zu suchen, wird da schnell mal zur Büchse der Pandora. Die will ja bekanntlich keiner öffnen. Wer weiß, welch Übel über uns hereinbricht, wenn wir den Streit angehen? Oft erscheint es aber auch einfach sinnlos, oder wir haben schon früh gelernt, Konflikte auszusitzen. Fakt ist, selbst wenn sich nichts ändert, erleichtert es die eigene Psyche, Dinge adressiert und ausgesprochen zu haben.
Unternehmen schicken ihre Mitarbeitenden gerne zu Seminaren, um zu lernen, mit Konflikten umzugehen. Das ist erstmal nicht falsch, hilfreich aber meistens auch nicht. Seminare und Workshops behandeln das Erkennen von Konflikten und den methodischen Umgang damit. Erkannt haben die Teilnehmer ihren Konflikt allerdings ja meist schon leidvoll selbst und mit dem rein methodischen Wissen allein ist ihnen nicht geholfen.
Was es braucht, ist eine Auseinandersetzung mit der eigenen Gefühlswelt. Angst und Unsicherheit spielen eine große Rolle.
Was also tun, um den Konflikt mit dem Konflikt zu vermeiden?
Wir müssen bei uns selbst anfangen
Schnell manifestiert sich in uns die Haltung, die andere Person sei das Problem. Konflikte werden zum größten Teil auf sehr persönlicher Ebene ausgefochten. Der Kontrahent wird zum personifizierten Konflikt. Das Problem ist allerdings nur das, was die andere Person in uns auslöst. Wir tun also erstmal gut daran, uns intensiv mit uns selbst zu beschäftigen. Diese Fragen helfen:
Was ist es, was mich ganz konkret stört/ärgert?
Diese Frage hilft, die vielen Gefühle zu ordnen und klar zu erfassen, was genau zur Störung führt. Ich erlebe immer wieder, dass genau das sehr schwer fällt.
Warum stört/ärgert mich das?
Der nächste Schritt ist, sich mit dem Grund zu beschäftigen. Woran liegt es? Habe ich ähnliches schon mal erlebt? Was übertrage ich nun vielleicht auf meinen Kontrahenten? Gegen welche meiner Werte handelt die Person?
Was kann ich konkret tun, um damit besser umzugehen?
Eine der wichtigsten Fragen, die wir uns stellen müssen. Falls eine Klärung des Konflikts trotz allem nicht funktioniert oder auch danach das Problem dennoch weiter besteht, sind wir so wenigstens gewappnet.
Was an dem Verhalten der anderen Person ist gut?
Ich arbeite in solchen Situationen gerne mit den Wertequadraten. Sie besagen, dass jede Verhaltensausprägung auch eine Gegenqualität hat. Einer ausgeprägten Selbstständigkeit steht zum Beispiel Kooperationsfähigkeit gegenüber. Beides ist gut und wichtig. Beides komplett ohne einander führt jeweils zur völligen Übertreibung.
Wer lernen kann, das Gegenüber für die Dinge, die man selbst nicht hat oder tut, zu schätzen, der wird es deutlich leichter haben, den Konflikt zu entschärfen.
Was ist die Motivation der anderen Person?
Ein Perspektivwechsel ist enorm wichtig, um von der eigenen Blindheit durch Ablehnung wegzukommen und Verständnis für die andere Seite zu entwickeln.
Was stört die andere Person an meinem Verhalten?
Wer es dann noch schafft zu verstehen, was die andere Seite für eine Störung mit dem eigenen Verhalten hat, spielt in der Konfliktlöseliga ganz vorne mit. Wer sich so intensiv mit sich selbst und dem Konflikt auseinandergesetzt hat, hat die besten Chancen, ihn anzugehen und zu lösen.
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