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Expertin rät Führungskräften: „Kontrolle sorgt nicht nur für Ordnung, sie führt auch zu Fake Work“

Dieser Artikel erschien zuerst bei t3n, am 23. Oktober 2023


Interview | Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Karin Lausch trainiert Führungskräfte und stellt diesen Glaubenssatz in ihrem Buch Trust Me infrage. Doch wie lässt sich Vertrauen aufbauen, wo keins ist?


Von Andreas Weck



Karin Lausch | Leadership Expertin und Executive Coach
Karin Lausch | Leadership Expertin und Executive Coach


Karin Lausch trainiert Führungskräfte und hat in ihren Berufsjahren vor allem eine große Herausforderung wahrgenommen: Oft fehlt es ihnen an Vertrauen. Das kann zwei Gründe haben, die entweder in der Person oder der Organisation liegen. Nicht selten auch an beidem. Dabei ist Vertrauen das Fundament für psychologische Sicherheit, durch die Teams erst mutig und innovativ werden.

Doch wie schaffen wir Vertrauen, wenn keins da ist? Die Hamburgerin hat ein Buch geschrieben, das Interessierten als Anleitung zu einer nachhaltigen Vertrauenskultur dient: Trust Me ist ab sofort im Handel erhältlich. Darin beschreibt Lausch auch, warum wir Menschen dringend mehr zutrauen müssen, wenn wir die Herausforderungen der zukünftigen Arbeitswelt meistern wollen.


Die Coachin erklärt im t3n-Interview, warum manche Menschen eher in der Lage sind, zu vertrauen, als andere, welche Auswirkungen fehlendes Vertrauen auf die Arbeitsweisen einzelner Teammitglieder hat und nach welchen Maßstäben sich Führungskräfte und Organisationen selbst auf den Prüfstand stellen können, um den Status quo ihrer Vertrauenskultur zu hinterfragen.


t3n: Blickt man derzeit auf die hochaktuelle Büropflicht-Debatte, wird man den Gedanken nicht los, dass es um das Vertrauen in der Arbeitswelt nicht gut bestellt ist. Täuscht der Eindruck?


Karin Lausch: Die Frage lässt sich leider nicht pauschal beantworten. In vielen Organisationen gibt es ein krasses Vertrauensproblem, ja, weshalb nun alle Beschäftigten zurückgerufen werden. Ihnen wird leider immer noch viel zu oft unterstellt, besser zu arbeiten, wenn sie physisch anwesend sind und ihre Führungskräfte sie sehen können. In vielen Firmen ist es aber auch einfach nur so, dass es Strukturen gibt, die nie darauf ausgelegt waren, verteilt zu arbeiten. Dort fällt der Shift jetzt schwer. Oft fehlt es ihnen einfach an Ideen, wie Arbeiten remote und hybrid funktionieren kann.


Ist das Thema damit beendet?


Sollte es zumindest nicht, nein. Denn eines vereint all diese Situationen. Überall dort besteht kein Vertrauen darin, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Lage sind, von allein eine Antwort auf die Herausforderungen flexibler Arbeit zu entwickeln. Wenn Menschen heutzutage noch zu 100 Prozent ins Büro bestellt werden, obwohl ihre Aufgaben etwas anderes zulassen, haben sie zurecht das Gefühl, dass ihnen misstraut wird. Und das allein hat schon schlimme Auswirkungen.

Was sind das für Auswirkungen?


Von aufkeimendem Zynismus über verlorene Motivation bis hin zur Kündigung kann das alles sein. Wenn wir das Gefühl haben, dass uns misstraut wird, obwohl wir doch alles gegeben haben, wenden wir uns enttäuscht ab. Wir fühlen uns nicht gesehen und auch nicht ernst genommen. Die emotionale Bindung zum Arbeitgeber leidet darunter stark, und Quiet Quitting, also die innere Haltung, nur noch das Mindeste zu tun, ist dann auch keine Seltenheit mehr. Am Ende verlassen die Menschen meist das Unternehmen, denn niemand möchte in einer Beziehung bleiben, in der nicht vertraut wird. Auch nicht in einer Arbeitsbeziehung.


Warum sind manche Menschen eher in der Lage, zu vertrauen, als andere?

Das liegt an unserem Urvertrauen. Es bildet sich in den ersten Monaten unseres Lebens und hängt davon ab, welche Erfahrungen wir mit unseren engsten Bezugspersonen machen. Wenn wir Liebe, Zuneigung und Aufmerksamkeit erfahren, stehen die Chancen gut, dass sich ein Urvertrauen bildet. Wenn nicht, gewinnt das Urmisstrauen. Menschen mit Urvertrauen gehen sorgloser durch die Welt. Sie glauben daran, dass sie auf ihr Umfeld einen Einfluss nehmen können und haben meist ein positives Menschenbild.


Und Menschen ohne Urvertrauen?


Menschen ohne Urvertrauen schätzen Risiken höher ein als sie meistens sind, misstrauen anderen Menschen wesentlich eher und zweifeln häufig sogar komplett an ihrer Selbstwirksamkeit. Unser Urvertrauen legt damit den Grundstein für unsere generelle Vertrauensfähigkeit. Natürlich kann sich das im Laufe des Lebens durch neue Erfahrungen auch verändern und in alle Richtungen weiterentwickeln.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Führungskräfte, die ihren Teammitgliedern ständig misstrauen, im Zweifel einfach nur ungeliebte Menschen sind? Das klingt nach Küchenpsychologie.


Zumindest ist ihr Urvertrauen gestört. Worauf das konkret basiert, ist eine individuelle Sache. Wir alle haben aber die Verantwortung, an uns zu arbeiten. Vor allem Menschen, die führen wollen, müssen sich intensiv mit den unbewussten Teilen ihrer Persönlichkeit auseinandersetzen, denn sonst übertragen sie ihre Themen ständig auf die Mitarbeitenden. Die höchste Form der Führung ist deshalb Selbstführung. Auch wenn wir nicht mit einem guten Urvertrauen ausgestattet wurden, können wir uns jederzeit aktiv dafür entscheiden, an unseren limitierenden Glaubenssätzen zu arbeiten und unser Menschenbild weiterzuentwickeln.


Was macht eine echte Vertrauenskultur aus?

Vor allem das persönliche Empfinden. Vertrauen ist ein Gefühl, das jeder Mensch sicher etwas anders beschreibt. Aber definitiv ist eine Vertrauenskultur frei von Angst und Absicherungsmechanismen. In meinem Buch gehe ich auf sieben Dimensionen ein, die für eine Vertrauenskultur im Unternehmen unerlässlich sind. Der Titel Trust Me ist ein Akronym und steht für Transparenz, Reflexion, Unterstützung, Sinn, Termintreue, Menschlichkeit und Ehrlichkeit. Da jedes Unternehmen anders ist, gilt es, in diesen Bereichen eine Standortbestimmung zu machen und genau zu analysieren, wie es um die Dimensionen steht.


Du coacht Führungskräfte seit Jahren – wo hapert es denn am meisten?


Selbst Führungskräfte, die sich persönlich stark weiterentwickeln, kommen an ihre Grenzen, wenn das System sich nicht mitentwickelt. Wenn Misstrauen beispielsweise sogar in der Organisation fest institutionalisiert ist, wird es schwierig mit dem Vertrauen. Ich glaube daher, dass die kontinuierliche Reflexion über alle Teams und Abteilungen hinweg und die damit verbundene Standortbestimmung im Unternehmen der Schlüssel ist, um auch in allen anderen Dimensionen zu erkennen, was sich verändern muss.

Wie lässt sich eine echt Vertrauenskultur im Unternehmen etablieren?


Indem wir vor allem herausfinden, was im Unternehmen echtes Vertrauen verhindert. Wir glauben immer, wir könnten Kultur mit Kultur gestalten. Also veranstalten wir Team-Events oder aufwendige Werte-Workshops. Dann drucken wir unsere Ergebnisse auf Poster oder ernennen Menschen zu Kulturbotschafterinnen und Kulturbotschaftern, die sie hinausposaunen. Das ist allerdings alles Unsinn, wenn das, was täglich passiert, gar nicht zu den Kulturinitiativen passt.


Warum versuchen dann so viele Führungskräfte, über diese Methoden eine Vertrauenskultur herbeizuführen?

Unsere Arbeitswelt funktioniert historisch bedingt immer noch sehr stark nach den Regeln des Misstrauens. Für alles brauchen wir Belege, Prozesse, Rahmenvereinbarungen oder Richtlinien. Wir arbeiten in Abteilungen und Silos und glauben immer noch, wir müssten die Qualität der Arbeitsergebnisse unserer Mitarbeitenden auf Schritt und Tritt überprüfen. Da ist es leider klar, dass es Vertrauen schwer hat und da hilft auch kein Poster, auf dem irgendwelche Werte groß geschrieben stehen. Wir müssen an die Strukturen, die Prozesse, die Spielregeln und die Kommunikation des Unternehmens ran, um das System zu verändern. Das System gibt vor, was erwünscht und was unerwünscht ist. Die Unternehmenskultur ist deshalb immer das Resultat davon.


Nicht wenige Führungskräfte glauben, dass Regeln und Richtlinien die Grundlage für Vertrauen sind.


Ja klar, denn wir Menschen lieben es, Komplexität zu reduzieren, und Misstrauen tut das für uns. Alle laufen nach einer Regel, aber was ist, wenn jemand ohne diese Regel eigentlich viel effektiver arbeiten würde? Wenn ich immer davon ausgehe, dass andere Menschen zum Arbeiten gebracht und deren Wege vorgegeben werden müssen, damit sie keinen Unsinn machen, dann schließe ich viele andere Möglichkeiten aus. Kontrolle sorgt nicht nur für Ordnung, sie führt auch zu Fake Work, also Arbeit, die zwar das System befriedigt, aber weniger zur Wertschöpfung beiträgt, weil wir vor lauter Misstrauen überbürokratisieren.


Wohin muss sich Führung heute verändern?


Führung bedeutet mehr als je zuvor, Menschen einen Raum zum Wachsen zu geben, und das hat viel mit Loslassen zu tun. Für Macht, Kontrolle und vor allem auch Status ist da kein Platz mehr. Um diesen Schritt gehen zu können, müssen wir aber wie gesagt auch charakterlich an uns arbeiten, denn viele definieren sich noch über ihre Position oder ihre Gewohnheitsrechte und glauben tief im Innern, dass Menschen zu nichts taugen. Wer Menschen grundsätzlich nicht vertraut und ihnen nichts zutraut, muss da dringend hinschauen.





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