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Warum wir wieder lernen müssen, zu vertrauen

Dieser Artikel erschien zuerst bei STRIVE Magazine, am 23. Oktober 2023


Interview | Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Nicht unbedingt, sagt Leadership Expertin und Executive Coach Karin Lausch. In ihrem neuen Buch “Trust me” setzt sie sich intensiv mit dem Thema Vertrauen auseinander – und warum es auch im beruflichen Umfeld so wichtig ist, einander zu vertrauen. Im Interview mit STRIVE verrät sie, wie Vertrauen die Zukunft der Arbeit gestaltet und was Führungskräfte tun können, um Vertrauen in ihren Teams aufzubauen.



Karin Lausch | Leadership Expertin und Executive Coach
Karin Lausch | Leadership Expertin und Executive Coach

Foto: Constantin Rademacher



Liebe Karin, herzlichen Glückwunsch zu Deinem neuen Buch! Wie kam es dazu, dass Du ausgerechnet über das Thema „Vertrauen“ geschrieben hast?


Vertrauen ist das Thema meines Lebens. Anders als vielleicht viele im ersten Moment denken, bin ich nicht damit gesegnet worden und möchte jetzt anderen erzählen, wie es geht. Ich bin von Natur aus nicht gut darin, zu vertrauen. Ich habe weder ein gutes Urvertrauen entwickelt, noch eine ausgeprägte Vertrauensfähigkeit. Vertrauen war für mich deshalb noch nie selbstverständlich, sondern immer etwas sehr Besonderes. Und dennoch – oder genau deshalb –begleite ich heute andere Menschen und Unternehmen dabei, es zu finden und dadurch ganz anders miteinander arbeiten zu können, denn wir können lernen, zu vertrauen.


Über die Jahre habe ich viele Beispiele im Alltag erlebt, in denen mangelndes Vertrauen Organisationen geschwächt, Teamleistung gemindert und die mentale Gesundheit extrem belastet hat. Doch derzeit steuern wir auf eine Vertrauenskrise zu, wie wir sie lange oder vielleicht sogar noch nie hatten. Polykrisen, Fachkräftemangel und Fake News sind nur einige der Dinge, die uns extrem verunsichern und stressen. Nicht nur der Gallup Engagemet Index 2022 stellte bereits fest, dass Vertrauen „im Sinkflug“ ist. Die Vertrauensstudie von Bayer aus dem gleichen Jahr kam sogar zu dem Ergebnis, dass rund 63 Prozent der befragten Jugendlichen nicht in andere Menschen vertrauen. Jede:r zweite meint, "wer sich auf andere verlässt, wird ausgenutzt" und fast 40 Prozent glauben nicht, "dass Menschen gute Absichten haben". "Nur 19 Prozent der Jugendlichen sehen für unsere Gesellschaft eine positive Zukunft."


”Das Gegenteil von psychologischer Sicherheit ist zwischenmenschliche Angst – und Angst in Teams ist spürbar. Wir sind nicht ganz wir selbst, wenn wir auf der Hut sind.”

Das Problem ist, dass unsere Prophezeiungen sich selbst erfüllen, wenn wir so durch die Welt gehen. Wenn wir glauben, Menschen seien nicht gut und die Welt nicht vertrauenswürdig, dann werden wir viele Beweise dafür finden, dass es wirklich so ist. Dem möchte ich mit meinem Buch entgegenwirken, weil ich weiß, wie sehr Vertrauen unser Leben verändern kann und weil wir den zukünftigen Herausforderungen mit dieser Haltung definitiv nicht gewachsen sind. Wenn wir so weitermachen wie bisher, kollabiert nicht nur unsere Arbeitswelt, sondern auch unsere Gesellschaft.



Was ist der Unterschied zwischen Vertrauen und psychologischer Sicherheit?


Michael Trautmann schreibt dazu in seinem Beitrag im Buch sehr treffend, dass die beiden Themen zwar miteinander verwandt, aber nicht austauschbar sind. Vertrauen entwickelt sich zwischen Individuen. Das Gefühl der psychologischen Sicherheit entsteht im Team.



Was sind Anzeichen von fehlender psychologischer Sicherheit in einem Unternehmen?


Das Gegenteil von psychologischer Sicherheit ist zwischenmenschliche Angst – und Angst in Teams ist spürbar. Wir sind nicht ganz wir selbst, wenn wir auf der Hut sind. Wir setzen Masken auf und spielen uns etwas vor. Außerdem fangen wir an, Vermeidungsstrategien zu entwickeln. Daraus wird schnell Business-Theater: Wir werden still, statt wichtige Fragen zu stellen, rechtfertigen uns, statt Ursachen zu erforschen, und übernehmen die Meinung der Masse, statt unsere eigene mutig zu vertreten. Wir sagen nicht, was wir denken, sondern was akzeptiert ist. Wir wahren Harmonie und Höflichkeit, statt konstruktiv zu streiten, und wir fühlen uns unwohl, aber trauen uns nicht, es den anderen zu sagen. Unser Selbstschutz ist wichtiger als das gemeinsame Vorankommen.


“Führungskräfte müssen einen Vertrauensvorschuss geben. Nur so kann eine vertrauensvolle Beziehung überhaupt erst entstehen.”

Welche Probleme ergeben sich daraus – auch für das Unternehmen?


Die Angst lähmt uns und verhindert, dass wir ehrlich, mutig und innovativ zusammenarbeiten können. Fehler werden vertuscht, statt sie zum Lernen zu nutzen und es kommt zu enormer Verschwendung, weil sich niemand traut, Fake Work, also die Art von Arbeit, die lediglich der Systembefriedigung, aber nicht der Wertschöpfung dient, zu hinterfragen. Wir sind nicht in der Lage, etablierte, aber verstaubte Prozesse umzuschmeißen. Die Art, wie wir arbeiten, passt dabei meist gar nicht mehr in unsere Zeit. Doch wir können Bürokratie und unsinnige Meetings nicht abschaffen, wenn sich niemand traut, den Status quo infrage zu stellen.



Wie kann man als Führungskraft aktiv Vertrauen zu seinem Team aufbauen?


Natürlich gibt es hier keine Blaupause, denn jede Führungskraft, jedes Team und jede Organisation ist unterschiedlich. Doch klar ist, dass Vertrauen vor allem durch Vertrauen entsteht. Führungskräfte müssen einen Vertrauensvorschuss geben. Das ist eine aktive Entscheidung – wie ein Investment in ein Start-up. Nur so kann eine vertrauensvolle Beziehung überhaupt erst entstehen. Hier geht es darum, das eigene Menschenbild zu hinterfragen. Gehe ich als Führungskraft grundsätzlich davon aus, dass ich Menschen nicht trauen kann, muss ich dringend genau daran arbeiten.

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